Leseandacht zum drittletzten Sonntag des Kirchenjahres

Leseandacht zum drittletzten Sonntag des Kirchenjahres

Leseandacht zum drittletzten Sonntag des Kirchenjahres

# Andacht

Leseandacht zum drittletzten Sonntag des Kirchenjahres

Gedenke, auf dass du lebest!

9. November: Kein anderes Datum lenkt den Blick so sehr auf großartige, wie auf schreckliche Ereignisse unserer deutschen Geschichte:

Am 9. November 1918 ruft Philipp Scheidemann (später Kanzler der ersten demokratisch gewählten Regierung in Deutschland) die Republik aus. Mit der Weimarer Republik verbindet sich nach dem Untergang der Monarchie und den Schrecken des Weltkrieges die Hoffnung auf eine freie, friedliche und gerechtere Gesellschaft. Untertanengeist und Obrigkeitsdenken sollen endlich einem bürgerlichem Selbstbewusstsein weichen. Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst nehmen einen ungeahnten Aufschwung.

Am 9. November 1989 führt der laute Ruf der Menschen nach Freiheit und Demokratie zum Fall der Berliner Mauer. Wochenlang waren mutige Menschen auf die Straße gegangen und hatten friedlich, aber beharrlich Reisefreiheit und freie Wahlen gefordert. Schon jahrelang zuvor hatten Friedens- und Bürgerrechtsgruppen über Veränderungen in der DDR-Gesellschaft nachgedacht. Die Kirche bot ihnen Schutzraum und Gelegenheit, Ideen zu diskutieren. Immer wieder waren sie von den Mächtigen eingeschüchtert, von der Stasi bespitzelt worden. Viele Mitglieder mussten persönliche Benachteiligung oder gar Verfolgung erdulden.

Heute, 35 Jahre später, ist Vieles von dem, was damals ersehnt und eingefordert wurde, selbstverständlicher Alltag. Möglicherweise sogar schon wieder zu selbstverständlich? Bei Wahlen nicht den besonnenen, den Ausgleich suchenden Kandidaten zu folgen, sondern sich von Parolen und Marktschreiern beeindrucken zu lassen, ist immer wieder eine große Versuchung. Sich in den Hass gegen Menschen hineinziehen zu lassen, eine große Gefahr.

Am 9. November 1938 führte solch blinder Hass einer aufgepeitschten Bevölkerung zu Schrecken und Horror: Synagogen wurden geschändet und angezündet, jüdische Geschäfte geplündert und demoliert, jüdische Bürger misshandelt, verhaftet, getötet. Die Reichsprogromnacht war ein deutliches, für alle sichtbares Signal auf dem Weg zum Völkermord an den Juden Europas. In vielen unserer Orte, wo früher jüdische Familien ganz selbstverständlich Nachbarn und Freunde waren, ist heute diese Bevölkerung verschwunden. Nicht selten müssen wir uns mühsam auf die Suche machen, um noch Spuren früheren jüdischen Lebens zu entdecken. Wir können ahnen, was uns allen unwiederbringlich verloren gegangen ist.

Es mag historischer Zufall sein, dass diese (und andere) markanten Ereignisse alle an einem 9. November stattfanden. Aber schlaglichtartig verbinden sich in diesem Datum mutmachende, wie beschämende Erinnerungen, die zu unserer Geschichte einfach dazugehören.

Die Bibel mahnt uns: Erinnere dich an alles, was früher war! Lerne aus der Geschichte der Menschen! Bitte deine Väter und Mütter – sie können es dir erzählen! Frage die alten Generationen, woher wir kommen!

Pfarrer Wolfgang Löbe, Westeregeln

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